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Große Straße 118

Adolf Magnus, Berthold Magnus, Erna Magnus

Berthold Magnus war der Sohn des Viehhändlers Adolf Magnus (1864-1942) aus Bücken und seiner Ehefrau Klara, geb. Strauß (1868-1939). Das Ehepaar meldete sich 1911 in Verden an. Berthold Magnus hatte vier Schwestern. Die jüngste Schwester Erna (Jg. 1902) war Stenotypistin. Nur sie wohnte noch bei ihren Eltern. Kein Familienmitglied überlebte den Holocaust.

Berthold Magnus (Jg. 1898) ließ sich erst 1930 endgültig als Viehhändler in Verden nieder. 1937 wurde ihm die Viehhandelszulassung entzogen. Er gehörte zu den in Pogromnacht in sog. »Schutzhaft« genommenen jüdischen Männern. 1940 wurde er in das zum »Judenhaus« deklarierte Haus Holzmarkt 10 eingewiesen und bis zur Deportation nach Minsk 1941 als Kohlearbeiter zwangsverpflichtet.

Ohne reguläre Verdienstmöglichkeiten verzogen sein Vater und seine Schwester 1939 nach Hamburg bzw. nach Bielefeld. Adolf Magnus wurde 1942 nach Theresienstadt und seine Tochter 1943 nach Auschwitz deportiert.

Berthold Magnus

Erna Magnus

Berthold Magnus

Berthold Magnus wurde am 03.10.1898 als Bernhard Magnus in Bücken bei Hoya geboren, belegbar durch die Geburtsurkunde des Standesamtes Bücken vom 08.10.1898 und durch eine Postkarte vom 09.12.1938 von Berthold Magnus an das Standesamt Bücken, in der er die Annahme des  Zwangsvornamens „Israel“ mitteilte. Unterschrieben ist diese von seiner Schwester Erna formulierte Mitteilung mit „Bernhard Magnus“. Ein Vergleich der Unterschriften von „Berthold Magnus“ in Verden und „Bernhard Magnus“, dem ehemaligen Bückener, ergibt zweifelsfrei, dass es sich hierbei um ein und dieselbe Person handelt. Über „Bernhard, der in Verden lebte“, hatte der Bückener Pastor Studer 1989 in Zeitzeugengesprächen in Erfahrung gebracht, dass „er keinen guten Leumund“ gehabt habe. Warum? Eine Antwort darauf kann es aufgrund der Aktenlage nicht geben. Aktenkundig ist nur, dass Berthold Magnus, bevor er sich am 15.02.1930 endgültig in Verden niederließ, mehrmals den Wohnort wechselte und sogar vom 12.12.1927 bis zum 29.06.1928 „auf See“ war. Leider gibt es über seinen Wehrdienst keinerlei Unterlagen. Auch bei einem Vergleich der Einwohnermeldekarten Verdens und Braunschweigs ergibt sich zumindest eine  größere biografische Lücke, genau zwischen dem 21.12.1921 (aus Braunschweig „unbekannt verzogen“) und seiner erneuten Anmeldung in Verden am 14.01.1925 (zugezogen von Braunschweig).

Seine Eltern waren Clara Magnus, geb. Strauß (verstorben am 17.11.1939), und der „Bürger und Viehhändler“ Adolf Magnus, wie es in einer Urkunde des Standesamtes Bücken heißt. 1902 wurde Adolf Magnus darin noch ausdrücklich als „Bürger“ bezeichnet. 33 Jahre später wurden die jüdischen Deutschen durch das „Reichsbürgergesetz“ vom 15.09.1935 aus dem Reichsbürgerverband ausgeschlossen. Jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger waren fortan Bürger 2. Klasse: „Staatsangehöriger ist, wer dem Schutzverband des Deutschen Reiches angehört.“ Staatsangehörige – nicht Reichsbürger – konnten also auch Nichtarier sein. Berthold Magnus war ledig und übte wie sein Vater den Beruf des Viehhändlers aus. Seit dem 11.07.1933 wohnte die Familie Magnus in der Großen Straße 118 (s. Leopold Rothschild).

Laut einer „Liste der jüdischen Geschäfte in Verden“ vom 06.11.1936 (s. Clara Baumgarten) gehörte der Viehhandelsbetrieb seinem Vater Adolf Magnus. Im „Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe in Verden (Aller)“ vom 15.08.1938 jedoch wurde nur noch ein einziger von fünf Viehhandelsbetrieben im Jahre 1936 aufgeführt. Listen, immer wieder Listen waren die bürokratische Grundlage des  industrialisierten Massenmords an den europäischen Juden. Bezeichnend dafür ist ein Schreiben der Landeskriminalpolizeistelle Hamburg-Wilhelmsburg vom 01.10.1935, in dem die Gemeinden aufgefordert wurden, „ein Verzeichnis in dreifacher Ausfertigung“ zu erstellen und einzusenden: „Frist: 15.10.1935.“ Die in Verden am 16.10.1935 erstellte Liste war jedoch unvollständig. Der Name Berthold Magnus z.B. fehlte. Es wurde eine neue Liste angefordert, die dann erst ca. acht Wochen später fein säuberlich mit der Hand geschrieben vorlag und abgeschickt werden konnte. Die systematische Erfassung der jüdischen Bevölkerung war wenige Monate vor dem Beginn der Olympischen Spiele in Garmisch-Partenkirchen und in Berlin 1936 als sog. legale und der Öffentlichkeit verborgene Erfassungsmethode eingeführt worden. „Wilde Einzelaktionen gegen Juden“ und v.a. ausländische Proteste hätten die Durchführung der Spiele gefährden können.

Das heißt aber nicht, dass die Schikanen gänzlich eingestellt worden wären. Beim Viehhandel ging es manchmal ziemlich derb zu. Man war aufeinander angewiesen. Die jüdischen Viehhändler organisierten den Zwischenhandel, auch von Bauer zu Bauer. Man duzte sich. Bürgerliche Etikette spielte eine untergeordnete Rolle. Jüdischen Viehhändlern, „die einen deutschen Bauern oder deren erwachsene Kinder mit ‚Du’ anreden“, wurde angedroht, „sie wegen groben Unfugs in Strafe“ zu nehmen. Ein beredtes Zeugnis der konsequent verfolgten Ausgrenzungspolitik und der Degradierung des jüdischen Menschen! Die NS-Propaganda hatte es besonders auf die jüdischen Viehhändler abgesehen. Bauern wurden als „Judenknechte“ denunziert. Dennoch hielten viele Bauern an ihren traditionellen Kontakten so lange fest, bis es wegen des Berufsverbots nicht mehr ging. Vorbereitet wurde es am 25.01.1937 auf dem Verordnungswege. Laut „VO über den Handel mit Vieh“ vom 25.01.1937 war die Zulassung zum Viehhandel von „sachlichen Voraussetzungen und persönlicher Zuverlässigkeit abhängig.“ Aufgrund dieser Verordnung widerrief der Viehwirtschaftsverband Hannover am 13.12.1937 Berthold Magnus’ „Zulassung zum Handel mit Vieh“ (s. Harry Herzberg). Einsprüche wurden zwar vom „Schiedsgericht für die landwirtschaftliche Marktregelung“ in Hannover und auch von der Berufungsinstanz, dem Oberschiedsgericht in Berlin, bearbeitet, blieben aber letztendlich erfolglos. Die Legitimationskarten wurden Ende Juli 1938 eingezogen (s. Adolf Rosenbach). Herschel Grünspans Verzweifelungstat fiel laut israelischem Historiker Gideon Greif dann „den Nazis wie eine reife Frucht in den Schoß, da die antijüdischen Maßnahmen zu diesem Zeitpunkt einen toten Punkt erreicht hatten.“ Das Attentat am 07.11.1938 in Paris auf den Legationssekretär Ernst vom Rath sei für die braunen Machthaber endlich das langersehnte Signal gewesen, den Auswanderungsdruck nochmals zu verstärken. „Ab 1938 war die jüdische Bevölkerung endgültig vogelfrei.“ In der Pogromnacht vom 9. auf den 10.11.1938 wurden die männlichen Mitglieder der Verdener Synagogengemeinde auf der Grundlage von Erlassen vom 12. und 26.04.1934 verhaftet, darunter auch Berthold Magnus. Für die „Inschutzhaftnahmen“ am frühen Morgen des 10.11.1938 war die Gestapo zuständig. Ein Haftgrund ließ sich aufgrund des propagandistisch geschürten „Volkszorns“ leicht finden, nämlich „a) zum eigenen Schutz des Häftlings“. Berthold Magnus wurde erst am 28.11.1938 entlassen. Am 03.12.1938 wurde die „Entziehung der Führerscheine und Zulassungspapiere der Juden“ angeordnet. Unter den fünf Verdenern, die am 18.03.1939 im Rathaus ihren Führerschein abgaben, war auch Berthold Magnus (s. Arnold Baumgarten). Ohne reguläre Verdienstmöglichkeiten vor Ort verzogen sein Vater am 14.03.1939 nach Hamburg und seine Schwester Erna am 25.03.1939 nach Bielefeld.

Berthold Magnus blieb als einziger Familienangehöriger in Verden zurück, ausgeschlossen vom normalen Alltag und vollends eingeschränkt in seiner Mobilität durch die „Sicherstellung“ seines Fahrrades am 28.03.1941 (s. Martin Spanier). Praktisch mittellos wurde Berthold Magnus am 06.03.1940 in das „Judenhaus“ Holzmarkt 5 (s. Luise Baumgarten) eingewiesen. „Jude wurde zu Jude gesteckt.“ Aber er war ja arbeitsfähig! Da der Staat kein Interesse daran habe, so der Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, „die Arbeitskraft von Juden ungenutzt zu lassen und diese u.U. aus öffentlichen Mitteln ohne Gegenleistung zu unterstützen“, wurde schon am jeweiligen Wohnort mit der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft zu einem Hungerlohn begonnen: „Es ist anzustreben, alle arbeitslosen und einsatzfähigen Juden beschleunigt zu beschäftigen und damit die Freistellung deutscher Arbeitskräfte für vordringliche staatspolitisch wichtige Vorhaben zu verbinden.“ Am 26.09.1941 teilte das Arbeitsamt auf Anfrage dem Bürgermeister Verdens als Ortspolizeibehörde mit, dass der „Jude Berthold Magnus (…) als Kohlenarbeiter bei der Firma Dietrich Oelfken, Verden“ eingesetzt worden sei.
Berthold Magnus wurde zusammen mit 20 Verdenerinnen und Verdenern am 17.11.1941 nach Bremen und von dort aus am folgenden Tage nach Minsk deportiert, wo er ermordet wurde, spätestens während der Massenexekutionen in den Kiesgruben bei Minsk am 28. und 29.07.1942. „Die Aktion begann am Morgen des 28. Juli 1942,“ heißt es im Urteil des Landgerichts Koblenz gegen mehrere NS-Verbrecher aus dem Ghetto Minsk, „als die zahlreichen Arbeitskommandos bereits ausgerückt waren (s. Martin Spanier). „Die Todgeweihten konnten in der Regel schon auf größere Entfernung die Schüsse hören und hieran erkennen, dass eine Massenexekution im Gang war, als deren Opfer sie auch vorgesehen waren. Spätestens beim Anblick der Grube und der darin liegenden Leichen wurde ihnen (…) klar, was auch ihnen  bevorstand. Manche fluchten, schrien und weinten, andere flehten um ihr Leben; die meisten ergaben sich jedoch gefasst und ohne Wehklagen in ihr Schicksal.“

Quellen:

  • »Stolpersteine« Biografien aus Verden Gedenksteine für die Opfer des Nationalsozialismus von Werner Schröter / Joachim Woock, Verein für Regionalgeschichte Verden e.V.
  • Stadtarchiv Verden: Rep. III, „Pascheberg-Akten“ Nr.14 ff
  • Stadtarchiv Verden: Alte Meldekartei, Adressbücher 1922, 1927, Einwohnerbuch 1934
  • Kreisarchiv Verden: 5 – 27 d und 5 – 27e
  • Stadtarchiv Hoya: Geburtsregister Hoya Nr. 53/1898
  • Stadtarchiv Bielefeld: 104,3/Einwohnermeldeamt Nr.21
  • Bundesarchiv Koblenz (Hg.): Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland, 4 Bde, 2. wesentlich erweiterte Auflage, Koblenz 2006
  • Staatsarchiv Bremen (Hg.): „…sind Sie für den geschlossenen Arbeitseinsatz vorgesehen …“ »Judendeportationen« von Bremerinnen und Bremern während der Zeit der nationalsozialistischen  Gewaltherrschaft Kleine Schriften des Staatsarchivs Bremen, H. 36, Bremen 2006
  • van Dick, Lutz: Der Attentäter. Herschel Grynszpan und die Vorgänge um die »Kristallnacht«, Reinbek 1995 Mallus-Huth, Heike/Huth, Hans: Wann wird man je versteh’n – Der Weg der Hoyaer Juden bis 1942, Jüdische Bibliothek, Band 4, Mannheim 1992
  • Obenaus, Herbert u.a. (Hg):Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, 2 Bde, Göttingen 2005
  • Walk, Joseph (Hg): Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat, Heidelberg 2(1996)
  • Weidemann, Jürgen: Novemberpogrom 1938 »Kristallnacht« in Verden, Verden o.J. (1988)
  • Verdener Nachrichten vom 13.11.1997 (Gedenkveranstaltung im Bremer Rathaus mit Gideon Greif)
  • Verdener Nachrichten vom 18.11.1991 (J. Weidemann: Vor 50 Jahren: Juden ins Getto Minsk deportiert)
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