Trotz zunehmender Repressalien, damit verbundener Umsatzeinbußen und staatlich angeordneter bzw. geduldeter gewalttätiger Übergriffe vom Boykott jüdischer Geschäfte am 01. April 1933 bis zur Kennzeichnungspflicht jüdischer Geschäfte im Oktober 1938 (s. Luise Baumgarten) führte Agathe Baumgarten dieses Einzelhandelsgeschäft bis zur Pogromnacht am 09./10. November 1938 weiter. »Auch in unserer Stadt Verden machte die Bevölkerung ihrem Herzen Luft, zertrümmerte die Fensterscheiben der jüdischen Geschäfte und zündete die Synagoge an«, hieß es in der Propagandasprache der NS-zensierten Zeitung »Verdener Neueste Nachrichten« vom 10. November 1938. Für die Beseitigung der Schäden »zur Wiederherstellung des Straßenbildes« musste Agathe Baumgarten als Geschäftsinhaberin selbst aufkommen. Die Rechnung für zehn im Auftrag der Stadt ersetzte Scheiben wies einen Betrag von 231,76 RM aus (s. Henriette Goldschmidt). Versicherungsansprüche wurden »zugunsten des Reiches beschlagnahmt«.
Die Mieterin Maria Göbbert (Große Str. 31) erinnerte sich 1964: »Ich selbst habe oben aus dem Fenster gesehen, dass später die Waren aus dem Laden von SA-Leuten abtransportiert wurden. Vor der Tür stand ein Fahrzeug, mit dem die Waren weggeschafft wurden.«
Arnold Baumgarten gehörte zu den verhafteten jüdischen Verdenern, die am Morgen des 10. November 1938 ins hiesige Gerichtsgefängnis eingeliefert wurden. Er wurde zusammen mit seinen Brüdern und seinem Neffen Siegfried Baumgarten erst am 27. November 1938 aus der »Schutzhaft« entlassen. Schon am 12. November 1938 hatte Hermann Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan die »Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben« zum 01. Januar 1939 verordnet. Sowohl eine Ausnahmegenehmigung für eine Weiterführung »zur Versorgung der Bevölkerung« als auch die »Arisierung« ihres Geschäftes wurden vom Landkreis am 06. Dezember 1938 in einer vom Landrat Weber geleiteten Besprechung abgelehnt.
Beraubt ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage, stellten Agathe und Arnold Baumgarten am 22. Dezember 1938 Ausreiseanträge nach Palästina. Als »Passbewerberin« musste Agathe Baumgarten eine zusätzliche Erklärung abgeben. Obwohl behördlicherseits »keine Bedenken« gegen eine Passausstellung erhoben wurden, konnten sie ihre Auswanderungspläne nicht mehr verwirklichen. Sie verzogen am 31. März 1939 nach Bremen, Humboldtstraße 10. Am Tage ihrer Deportation ins Ghetto Minsk am 18. November 1941 wohnten sie in der Meinkenstraße 51.
Gemäß »Evakuierungsbefehl« mussten sich 442 Bremerinnen und Bremer, darunter auch Christen jüdischer Abstammung, noch vor Sonnenaufgang sammeln. Sie wurden in kleinen Gruppen zum Bahnhof geführt und dort einer stundenlangen demütigenden Abfertigungsprozedur ausgesetzt, ehe sie in den aus Hamburg eingetroffenen Deportationszug »verladen« wurden.
Die Fahrt dauerte mindestens drei Tage und drei Nächte und endete in der »Hölle von Minsk«. Von den ca. 22.000 nach Minsk deportierten jüdischen Deutschen überlebten nur höchstens 30 nach einer Schätzung des Holocaust-Überlebenden Heinz Rosenberg aus Hamburg. An den drei Tagen vom 28. bis 30. Juli 1941 seien auf Befehl aus Berlin insgesamt 10.000 bis 18.000 jüdische Menschen, die als nicht arbeitsfähig galten, innerhalb und außerhalb des Ghettos erschossen worden. Der 28. Juli 1942 gilt als Todesdatum von Agathe und Arnold Baumgarten. »Sie wurden in Minsk in Kiesgruben erschossen«, so Uri Bustan 1993 anlässlich eines Zeitzeugenberichts in der Verdener Hauptschule, »und in Massengräbern verscharrt. Wir wissen nicht wo. Es gab kein Grab. Unser Grabstein ist jetzt das Mahnmal.«
Offiziell für tot erklärt wurden sie laut Beschluss des Amtsgerichts Bremen (Az. II. 1112-1803/48) am 19. August 1948. Als »Zeitpunkt des Todes« wurde der 28. Mai 1945 festgesetzt.