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Veranstaltung

»Keine Zuflucht. Nirgends« Die Irrfahrt der St. Louis

Mi. 20. Oktober 2021 um 19 Uhr

Aula des Domgymnasiums, Verden

Eintritt: kostenlos

Wir möchten Sie hiermit zu unserer Veranstaltung in der Aula des Domgynasiums am Mi., den 20. Oktober einladen.

Szenische Lesungen machen Geschichte lebendig
Historische Akten können eine trockene Angelegenheit sein. Doch dahinter verbergen sich oft bewegende menschliche Schicksale. Die SchauspielerInnen der bremer shakespeare company hauchen historischen Originaldokumente in szenischen Lesungen wieder Leben ein. Im Jahr 2007 entstand auf Initiative der Bremer Historikerin Dr. Eva Schöck-Quinteros die Kooperation »Aus den Akten auf die Bühne« (auch: »Sprechende Akten«) mit dem Ensemble der bsc. Diese Kooperation verbindet geschichtswissenschaftliche und dramaturgische Arbeit und macht quellenbasierte Geschichtsforschung einem breiten Publikum zugänglich. Unter der Leitung von Dr. Eva Schöck-Quinteros entwickeln Studierende des Instituts für Geschichtswissenschaft der Universität Bremen und Ensemblemitglieder der bremer shakespeare company die szenische Lesungen aus historischen Originaldokumenten. Zusammen mit Studierenden forscht die Historikerin im Staatsarchiv Bremen und in zahlreichen anderen Archiven zu Themen des 20. Jahrhunderts.

»Aus den Akten auf die Bühne« war Vorreiter

In jüngerer Zeit wird das Theaterspielen als didaktisches Mittel der Aneignung und Auseinandersetzung mit Geschichte in Museen, Gedenkstätten und Archiven eingesetzt. Die szenischen Lesungen des Bremer Projektes Aus den Akten auf die Bühne nimmt eine Vorreiterrolle im Umgang und in der Vermittlung von Geschichte mit theatralen Mitteln ein. Jede szenische Lesung ist das Ergebnis einer konstruktiven Kooperation von Studierenden und Schauspieler:innen der bremer shakespeare company. Die Lesungen verlassen sich dabei ganz auf die Aussagekraft der Dokumente und bringen die historischen Texte ohne ergänzende Erläuterungen, Kommentare und Interpretationen zum Sprechen. Wenn möglich finden die Lesungen an den historischen Originalschauplätzen statt, z.B. im Schwurgerichtssaal des Bremer Landgerichts.

Szenische Lesung: Bremer Shakespeare Company; Fotos copyright: Marianne Menke

»In fünf Wochen von Hamburg über Kuba nach Antwerpen«

Am Beispiel der Familie Rosenberg aus Bassum/Bremen kann der Zusammenhang zwischen einer weltweit beobachteten internationalen Konferenz und gescheitereten Fluchtversuchen auf Schiffen Richtung Lateinamerika aufgezeigt werden. Die Rosenbergs waren für ihre Fahrt nach Argentinien gut vorbereitet: Hab und Gut zu lächerlichen Preisen verkauft, Schiffspassagen für den 31. August 1938 erworben. Doch sie erhielten keine Einreiseerlaubnis, obwohl schon Verwandte in Argentinien lebten. In dem als gfeheim eingestuften Circular 11 vom 12. Juli 1938 forderte der Außenminister José Maria Cantilo alle Konsuln und Botschafter auf, keine Visa an „unerwünschte“ Menschen mehr zu erteilen. Die Konferenz von Évian endete am 15. Juli 1938 – und viele Staaten reagierten mit verschärften Einreisebestimmungen.“ zitiert aus: Eva Schöck Quinteros et. al. (Hg.), Keine Zuflucht. Nirgends. Die Konferenz von Evian und die Fahrt der St. Louis (1938/39) Aus den Akten auf die Bühne Bd. 15, Bremen 2019

Vor 80 Jahren, am 17. Juni 1939, landete die „St. Louis“ in Antwerpen. Am 13. Mai 1939 war sie in Hamburg mit 937 Kindern, Frauen und Männern an Bord Richtung Kuba gestartet, darunter 930 deutsche Jüdinnen und Juden. Schon zwei Wochen später war die St. Louis im Hafen von Havanna angekommen. Doch die Landung wurde ihr verweigert – für die Passagiere völlig überraschend.

Den meisten Visa fehlte die Genehmigung des kubanischen Arbeits- und Außenministeriums, die erst durch das am 5. Mai 1939 erlassene Dekret Nr. 937 notwendig geworden war. Vom 29. Mai bis 4. Juni verhandelten Vertreter des American Jewish Joint Distribution Committees (JDC) mit der kubanischen Regierung. Vom 2. bis 5. Juni kreuzte die St. Louis zwischen Havanna und Miami. Auch die USA und Kanada lehnten die Aufnahme der Geflüchteten ab. Am 6. Juni 1939 musste Kapitän Gustav Schröder im Auftrag der Hapag die Rückkehr nach Europa mitteilen: Zielhafen für 906 Passagiere noch ungeklärt.

Die „Irrfahrt“ der St. Louis war wochenlang ein Thema in der internationalen Presse. Zeitgenössische Medien berichteten ausführlich über die vergeblichen Verhandlungen des JDC, über die Aktivitäten des Kapitäns und des von ihm ernannten Bordkomitees, über Selbstmordversuche im Hafen von Havanna und über den Plan einiger Passagiere, im Falle einer Rückkehr nach Hamburg kollektiv Suizid zu begehen.

Über andere Schiffe mit Geflüchteten an Bord wurde damals (wie heute) weniger berichtet. Der bekannte amerikanische Journalist Hubert R. Knickerbocker recherchierte, dass „[…] allein in den vergangenen zwei Monaten 18 transatlantische Dampfer mit 5627 jüdischen Flüchtlingen – Männer, Frauen, Kinder – nach Europa zurückkehren mussten, nachdem sie vergeblich einen Ort gesucht hatten, wo ihre Passagiere von Bord gehen könnten. Die Hoffnung hält am Leben. Doch tausende von Flüchtlingen haben längst die Hoffnung aufgegeben. Manchmal gelingt es ihnen, irgendwo an Land zu gehen, doch niemand weiß wo, niemand weiß wie. Dann verschwinden sie – und werden von der Liste gestrichen.“