Film
»Kaddisch nach einem Lebenden« Heimathaus Rotenburg
Di. 17. Mai 2022 um 19 Uhr
Heimathaus Rotenburg, Burgstraße 2
Eintritt: 5 Euro
»Kaddisch nach einem Lebenden« Film von Karl Fruchtmann, Kamera Günther Wedekind, am 17. Mai 19.00 Uhr im Heimathaus in Rotenburg
„Kaddisch“ ist das jüdische Totengebet. Im Film wird es für einen Lebenden gesprochen, für einen, der das KZ überlebt hat. Die Geschichte kreist um drei Männer, Juden, die auf unterschiedliche Weise ihre entwürdigenden Erfahrungen der KZ-Zeit verarbeiten. Jeder von ihnen schleppt das Trauma in der Gegenwart „wie einen Buckel“. Peri, Junggeselle in Tel Aviv, lebt ohne finanzielle Sorgen, die Vergangenheit existiert für ihn nicht mehr, bis er durch einen Zufall an sie erinnert wird. Gurfinkel, Gelegenheitsarbeiter, verheiratet, Kinder, hat die Vergangenheit verdrängt. Sein Motto lautet: „Mach Schabbes damit“, was so viel heißt wie „damit will ich nichts zu tun haben“. Bach ist geistig umnachtet, er steht am Straßenrand und ölt die Kinderwagenachsen vorbeispazierender junger Mütter. Obwohl er harmlos ist, wird er hin und wieder in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. In Rückblenden wird das Schicksal Bachs im KZ dargestellt, die Persönlichkeit zu brechen.
»Kaddisch nach einem Lebenden« ist Karl Fruchtmanns persönlichster Film. Er war als Jude in Dachau und Sachsenburg inhaftiert. In jeder Einstellung in jedem Wort ist zu spüren, dass Fruchtmann hier eigene Erfahrungen verarbeitet.
Der Film, 1968 in Israel gedreht, kommt dennoch keineswegs als problembeladenes, düster moralisierendes Fernsehspiel daher. Bemerkenswerte Bildfolgen, schnelle Schnitte, die rasche Folge von Bildfragmenten mit verblüffenden Perspektiven, erinnern an die Anfänge des Neuen Deutschen Films. Die Kamera hat der heute 92jährige Hellweger Kameramann Günther Wedekind geführt, der durch seine Erfahrungen als Schüler einer Nationalsozialistischen Erziehungsanstalt „Napola“ dem Thema der Menschenwürde im Laufe seines Lebens besondere Aufmerksamkeit widmet.
Als Günther Wedekind im Fernsehen von Radio Bremen Anfang der 60iger Jahre dem Regisseur Karl Fruchtmann begegnet, entsteht eine lebenslange Freundschaft. Regisseur und Kameramann haben 25 hochgelobte, wie auch kontrovers diskutierte Filme miteinander gestaltet.
Angesichts des gerade neu entfachten Antisemitismus und der Wiederkehr einer rassistisch motivierenden Gewalt ist dieser beeindruckende Fernsehfilm im Rahmen der Erinnerungskultur von beeindruckender Aktualität.
Foto Filmszene, oben: Bert Kuhnt