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Stifthofstraße 1

Rosa und Max Stern, Ilse-Lotte Stern

Rosa Stern (Jg. 1880) war die Tochter des Verdener Schuhwarenhändlers Salomon Tannenbaum und seiner Ehefrau Frieda, geb. Frank. Sie war seit 1905 verheiratet mit dem aus Halle/Westf. stammenden Kaufmann Max Stern (Jg. 1876). Das Ehepaar hatte zwei Kinder: Rudolf (Jg. 1906), dem 1939 die Flucht in die USA gelang, und Ilse-Lotte (Jg. 1910). Sie war Verkäuferin im elterlichen Geschäft.

Max Stern eröffnete 1905 im Hause seines Schwiegervaters Große Str. 54 ein Manufaktur- und Möbelgeschäft. Während des Ersten Weltkriegs war das Geschäft wegen seines Militärdienstes in Güstrow geschlossen. 1934 musste das Geschäft boykottbedingt aufgegeben werden. Die Familie zog nach Verkauf des Hauses (1934) zunächst in die Stifthofstraße, 1935 schließlich nach Bremen.

Laut Einwohnermeldekarte war sein Beruf 1941 Arbeiter. Am 18.11.1941 wurden Rosa, Max und Ilse-Lotte Stern nach Minsk deportiert und dort spätestens Ende Juli 1942 per Genickschuss ermordet.

Große Straße mit Rathaus und Geschäft Stern (um 1920)

Rosa Stern, geb. Tannenbaum, wurde am 12.04.1880 als Tochter des Produktenhändlers Salomon Tannenbaum und seiner Ehefrau Frieda, geb. Frank, in Verden geboren. Aus dem Produktwarenhandel mit Häuten und Fellen (1904) bzw. mit Rohprodukten (1910) wurde später das „Schuh- und Stiefelgeschäft S. Tannenbaum“ in der Großen Straße 63. Sie heiratete in Verden am 25.06.1905 den in Halle/Westf. am 25.11.1876 geborenen Kaufmann Max Stern. Dieser hatte bereits am 07.06.1905 ein Manufaktur- und  Möbelwarengeschäft eröffnet. Auf dem um 1910 aufgenommenen Foto ist Max Stern vor seinem Geschäft stehend zu sehen. Das Geschäft befand sich ebenfalls in der Großen Straße 63 (1926 nach Neunummerierung: Große Straße 54) In diesem Haus wohnten Rosa und Max Stern mit ihren beiden Kindern Rudolf (*17.08.1906) und Ilse-Lotte (*19.07.1910) bis zum 15.05.1934. Rudolf Stern gab den Beruf seines Vaters mit „Möbelfabrikant“ an. Max Stern warb 1922 im Verdener Adressbuch sogar mit „eigener Anfertigung“ und „Lieferung kompletter Einrich-tungen“. In der „Entschädigungssache Rudolf Stern“ wurde diesem allerdings am 29.03.1961 von der Stadt Verden mitgeteilt: „Eine Möbelfabrikation ist auf keinen Fall betrieben worden, da in dem Hause Große Straße 54 hierfür nicht die geeigneten Räume vorhanden waren.“ Das ca. 10 Jahre später aufgenommene Foto beweist zwar nicht das Gegenteil, aber die Werbebeschriftung auf der Giebelfront „Möbel – eigene Anfertigung“ ist durchaus erkennbar. Das Geschäft musste wegen boykottbedingter starker Umsatzrückgänge schon 1934 aufgegeben werden. Die Familie zog zunächst am 15.05.1934 in die Stifthofstraße 25 und am 24.09.1935 nach Bremen.

Rudolf Stern gelang im Gegensatz zu seinen Eltern und seiner Schwester die Auswanderung 1939 in die USA. In Bremen hatte er den Beruf des Export- und Importkaufmannes erlernt, ehe er ins väterliche Geschäft einstieg. Mit Sitz im elterlichen Wohnhaus Stifthofstraße 25 meldete er 1935 ein Gewerbe als „Handelsagent (Verteilung und Aufsuchung von Bestellungen für die Firma Deutsche Henerolgesellschaft – techn. Öle und Fette)“ an, offensichtlich ein letzter vergeblicher Versuch einer minimalen wirtschaftlichen Existenzsicherung für die gesamte Familie in einem von den Nazis langfristig angelegten Prozess der sukzessiven Verdrängung jüdischer Menschen aus Beruf und Gewerbe. Ilse-Lotte Stern war laut Bremer Einwohnermeldekarte Verkäuferin. Es ist zu vermuten, dass sie vor dem Umzug im Geschäft ihres Vaters als mithelfende Familienangehörige beschäftigt war.

In Bremen wurde Max Stern als „Kfm. Reisender“ geführt. Als solcher benötigte er einen Wandergewerbeschein. Vermutlich beziehen sich die zusätzlichen handschriftlichen Vermerke auf der Meldekarte auf seinen „Hausier- und Straßenhandel“, sowohl das durchgestrichene „Warenvertretungen“ als auch „angem. 24.09.36 II“ und „abgem. 02 01.6.38“. Fortan war er „Arbeiter“. Ob und inwieweit Max Stern und seine Familie auch Opfer der gewalttätigen Ausschreitungen nach der Pogromnacht am 09./10.11.1938 in Bremen3 wurden, ist nicht bekannt. Ausreiseanträge jedenfalls sind von Rosa, Max und Ilse-Lotte Stern nicht bzw. nicht mehr vorhanden.

Bremer Einwohnermeldekarte

Ilse-Lotte Stern wohnte ungewöhnlicherweise bis zur Deportation bei ihren Eltern, zunächst in der Busestraße 10, ein knappes Jahr später im Philosophenweg 5, ehe die Familie schließlich noch am 01.11.1941 in das sog. „Judenhaus“ Elsasser Straße 114 eingewiesen wurde. Unter dem Datum des 17.11.1941 findet sich der handschriftliche Zusatz (im Original abgekürzt): „Aufgabe der jüdischen Wohnung“. Das „Judenhaus“ wurde offensichtlich aufgelöst. 14 Bewohner wurden am 18.11.1941 nach Minsk deportiert. Über das, was sie in Minsk erwartete, berichtete der Holocaust-Überlebende Richard Frank aus Bremen: „Einige Tage vorher bekamen wir von der damaligen Gestapo den Bescheid, dass
wir uns mit Gepäck in einer Schule in Bremen zum Abtransport einzustellen haben. Wohin, war uns unbekannt. Wir mussten von der Schule dann in geschlossener Formation mit Gepäck zum Bahnhof marschieren und wurden dort in einen bereitstehenden Zug verladen. Die Fahrt dauerte 4 – 5 Tage und endete in Minsk (Weißruthenien). Dort sorgte lettische SS für unseren entsprechenden Empfang, der aus Kolbenhieben und Schimpfworten bestand. Wir mussten uns wieder aufstellen und marschierten zum Ghetto. Dort mussten wir bei strenger Kälte einen Tag und eine Nacht frei verbringen. Da in dem Ghetto vorher eine Vernichtungsaktion stattgefunden hatte, mussten diese Räume erst gesäubert werden und hierfür wurden aus unseren Reihen Männer und Frauen ausgesucht. Nachdem dieses stattgefunden hatte, konnten wir unser Quartier beziehen. Großzügigerweise wurde jede Person mit 1 ½ qm bedacht. Die Verpflegung bekamen wir aus der Gemeinschaftsküche Selbige war schlecht und bei weitem nicht ausreichend. Dann wurden wir zu Arbeitskolonnen eingeteilt. Die Arbeit war sehr schwer und es wurde viel von uns verlangt. Auch bei den Frauen nahm man bei der Arbeit keine Rücksicht.“ Eine Gruppe von ca. 60 Bremerinnen soll sogar die Massenexekutionen am 28./29.07.1942, nicht aber die endgültige Auflösung des Ghettos im Oktober 1943 überlebt haben. Der aus Bremen stammende Kurierfahrer G. Eggers entdeckte sie bei der Ausführung eines Auftrags im Keller eines Gebäudes der Besatzer. Sie sortierten Kartoffeln. Für die ihm heimlich zugesteckten Lebenszeichen gab es in Bremen keine Adressaten mehr. Wer dem Hunger- oder Kältetod und der „Vernichtung durch Arbeit“ entging, wurde erschlagen, vergast, erschossen.

Die Mordgier der SS- und SD-Schergen kannte keine Hemmschwellen, wie der Prozess gegen den „Henker“ und „Schießer“ von Minsk Adolf Rübe ergab, der als SS-Hauptscharführer dem Ghetto-Kommandanten SS-Hauptsturmführer Otto Müller direkt unterstellt war, als Aufsichtsleiter des Ghettos seit 1942 für den Arbeitseinsatz, seit 1943 auch für die Bewachung zuständig war und zuletzt dem sog. „Enterdungskommando“ 1944 angehörte. Dieses sollte vor der anrückenden Roten Armee die Spuren der Massenmorde beseitigen. Wann, wie und wo konkret, ob gemeinsam oder getrennt Rosa, Max und Ilse-Lotte Stern starben, kann nicht festgestellt werden. Deshalb muss das,  was im Bremer Erinnerungsbuch stichwortartig vermerkt ist, letztlich so stehen bleiben: „gest. 28.07.42 – Minsk – ermordet“.

Quellen:

  • Stadtarchiv Verden: Rep. III, „Pascheberg-Akten“ Nr. 14 ff
  • Stadtarchiv Verden: Alte Meldekartei, Adressbücher 1904, 1910, 1922, 1927, Einwohnerbuch 1934
  • Staatsarchiv Bremen: 4,82/1 Einwohnermeldekartei 1. Schicht
  • Staatsarchiv Bremen: 4,54 – E 10900 und E 10901 (Entschädigungsakten)
  • Historisches Museum Domherrenhaus, Verden: Fotoarchiv Nr. 1077 u. 3734
  • Staatsarchiv Bremen (Hg.) „… sind Sie für den geschlossenen Arbeitseinsatz vorgesehen…“ »Judendeportationen« von Bremerinnen
    und Bremern während der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Kleine Schriften des Staatsarchivs Bremen, H. 36, Bremen 2006
  • Staatsarchiv Bremen (Hg.): Erinnerungsbuch für die als Juden verfolgten Einwohner Bremens, die während der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wegen ihrer Zugehörigkeit zur jüdischen Glaubensgemeinschaft oder nach den Kriterien der nationalsozialistischen Rassegesetzgebung als Juden verfolgt wurden. Kleine Schriften des Staatsarchivs Bremen, H. 37, Bremen 2006
  • Weidemann, Jürgen: Novemberpogrom 1938 – »Kristallnacht« in Verden, Verden o.J. (1988)
  • Bremer Nachrichten vom 11.11.1988 („Schweigen und vielleicht Scham“)
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