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Johanniswall 7

Rosa-Frieda und David Grünfeld, Ernst Grünfeld, Manfred Grünfeld, Hanna Grünfeld

Der offiziell polnische Staatsbürger David Grünfeld (Jg. 1887) war 1937/38 der letzte jüdische Religionslehrer und Kantor, der mit seiner Familie in der am 9./10.11.1938 von SA-Schergen niedergebrannten Synagoge wohnte. Er lebte seit 1920 ununterbrochen in Deutschland und war seit 1925 verheiratet mit Rosa-Frieda Grünfeld (geb. Goldberg) aus Fulda. Das Ehepaar hatte drei Kinder: Ernst (Jg. 1926), Manfred (Jg. 1928) und Hanna (Jg. 1936).

Die Familie Grünfeld wurde ohne den nach Hamburg abgemeldeten ältesten Sohn am 28.10.1938 in Abschiebehaft genommen und per Sammeltransport nach Neu-Benschen verfrachtet und über die damalige polnische Grenze getrieben. Dort kam sie in ein Internierungslager. David Grünfeld durfte 1939 nochmals einreisen, um v.a. seinen Sohn Ernst abzuholen und seine aus der Synagoge »sichergestellten Einrichtungsgegenstände« in Empfang zu nehmen. In Zabzyn (Benschen) verliert sich die Spur der wieder vereinten Familie Grünfeld. Israelischen Quellen zufolge ist sie im Ghetto Warschau umgekommen.

David Grünfeld wurde am 18.05.1897 im polnischen Zelow (ca. 30 km südlich von Lodz) geboren. Seit 1920 hielt er sich, der als Muttersprache „deutsch“ angab, ununterbrochen in Deutschland auf, behielt aber offiziell die polnische Staatsbürgerschaft. Er stand unter „Ausländerüberwachung“ und war beruflich auf eine „Erteilung einer Arbeitserlaubnis“ angewiesen. Am 22.04.1925 heiratete der „Lehrer und Schächter“1 David Grünfeld, wohnhaft in Stuttgart, Weberstraße 92, die in Fulda am 18.02.1906 geborene Rosa Frieda Goldberg, älteste Tochter des aus „Russisch-Polen“ zugezogenen Ehepaares Fräum und Zirl Goldberg, geb. Schiller. Als polnische Staatsangehörige mussten sich Rosa Frieda und David Grünfeld vom jeweils zuständigen polnischen Konsulat Pässe ausstellen lassen. Das Ehepaar hatte drei Kinder: Ernst (*03.02.1926 in Stuttgart), Manfred (*16.06.1928 in Papenburg) und Hanna (*15.06.1936 in Papenburg). David Grünfeld war von 1927 bis 1937 als Kantor und Religionslehrer bei der jüdischen Gemeinde in Papenburg/Ems angestellt. Im Reichsland  Preußen war eigentlich die Anstellung ausländischer Lehrer und Gemeindeangestellter zumindest unerwünscht, doch die Gehaltsforderungen deutscher Lehrer konnten die zahlenmäßig kleinen jüdischen Gemeinden wie Papenburg und Verden nicht erfüllen. In Papenburg mussten die Gemeindevorsteher sogar einen Kredit in Höhe von 1.000,- RM zur Deckung der Reise- und Umzugskosten sowie zur Renovierung der Lehrerwohnung aufnehmen. Ob auch in Verden, ist nicht bekannt, denn erst seit dem 14.06.1938 folgten die Sparkassen der Anweisung, Kreditanträge von „Judenund jüdische Firmen“ allgemein abzulehnen. Als „ausländischer Arbeiter“ wurde er wegen „Übertretung der Gewerbeordnung“ vom Papenburger Amtsgericht am 16.02.1937 zu einer „Geldstrafe von 30,- RM hilfsweise 6 Tagen Gefängnis (…) rechtskräftig“ verurteilt. Im Oktober 1937 trat er in Verden als Nachfolger von Richard Seif seinen Dienst als Kantor und Religionslehrer an, wie aus dem Antrag vom 10.10.1937 auf eine auf ein Jahr befristete Erteilung einer Arbeitskarte hervorgeht. Die Familie wurde, ehe sie die Hausmeisterwohnung in der Synagoge am Johanniswall beziehen konnte, von Agathe und Arnold Baumgarten in der Großen Str. 29 aufgenommen. Trotz der Bedenken der zuständigen Ortspolizeibehörde (= Bürgermeister der Stadt Verden) u.a. wegen der „geringen Seelenzahl (42) der hiesigen Gemeinde“ (s. Leopold Rothschild) gewährte diese ihm die befristete Arbeitserlaubnis, die auf Antrag vom 03.09.1938 nochmals um ein Jahr verlängert wurde.

Arbeitskarte David Grünfeld

Dann überschlugen sich die Ereignisse. Nationale Machtpolitik wurde auf dem Rücken unschuldiger Menschen ausgetragen. In Deutschland lebenden polnischen Staatsbürgern drohte der Entzug ihrer offiziellen Staatsangehörigkeit und damit die Staatenlosigkeit. Staatenlose jedoch hatten allenfalls 43 eingeschränkte Auswanderungschancen. Das aber entsprach zu diesem Zeitpunkt nicht den der NS-Auswanderungspolitik zugrunde liegenden finanziellen Interessen. In Polen andererseits befürchtete man insbesondere nach dem sog. „Anschluss Österreichs“ am 13.03.1938 und den dort in aller Öffentlichkeit inszenierten demütigenden bis brutalen Übergriffen auf die jüdische Minderheit eine Rückwanderung von Zehntausenden. Nur wenige Tage nach der Aushändigung der neuen Arbeitskarte wurden aufgrund eines Erlasses Himmlers „betreffend Aufenthaltsverbot für Juden polnischer Staatsangehörigkeit“ vom 26.10.1938 das Ehepaar Grünfeld sowie ihre Kinder Manfred und Hanna am 28.10. um 0.45 Uhr in „Abschiebungshaft“ genommen und noch am selben Tage in Begleitung eines Polizeihauptwachtmeisters „in Zivilkleidung“ über Bremen nach Hamburg-Altona abtransportiert. Der inzwischen im jüdischen Waisenhaus in Hamburg untergebrachte älteste Sohn sollte dort seiner Familie „zugeführt“ werden. Das jedoch scheiterte, weil sich der erst zwölfjährige Ernst, höchstwahrscheinlich beunruhigt und verängstigt durch die Nazipropaganda, inzwischen per Bahn auf den Weg nach Verden gemacht hatte. Er wurde umgehend zurückgeschickt, in Bremen sogar in ein Taxi gesetzt. Dennoch verpasste er die Abfahrt des Sammeltransportes mit seinen Eltern und Geschwistern an die deutsch-polnische Grenze nach Neu Bentschen. Ernst Grünfeld blieb allein zurück.

Abschiebung der Familie Grünfeld

„Zur Deckung der Polizeikosten“ in Höhe von 143,15 RM sind zunächst Kartoffeln und Brennholz und später auch acht „Wohnungseinrichtungsgegenstände“ verkauft worden. Sie gehörten zu der während des Synagogenbrandes in der Pogromnacht sichergestellten und akribisch aufgelisteten Wohnungseinrichtung „in Verwahrung der Ortspolizeibehörde“. David Grünfelds Vollmacht vom 28.10.1938 für „Herrn Max Löwenstein, über meine Gegenstände nach meinen Anweisungen zu handeln“, wurde dabei völlig missachtet. In Neu Benschen (heute: Zbaszynek) angekommen, mussten die Abgeschobenen die letzten Kilometer von der SS-Wachmannschaft getrieben und z.T. geschlagen zur polnischen Grenzstation Zbaszyn (Bentschen) zu Fuß zurücklegen. Die Familie Grünfeld gehörte offensichtlich zu den Spätankömmlingen, denen polnischerseits die Einreise verweigert wurde und die in grenznahen Sammellagern unter schlimmsten v.a. hygienischen Bedingungen in alten Militärbaracken und Stallungen in Zbaszyn interniert wurden. Von dort erreichte eine am 26.11.1938 abgestempelte Postkarte die Familie Löwenstein mit der Bitte, der Familie angesichts des bevorstehenden Winters v.a. Wäsche, wärmende Decken und Haushaltsgeräte zu schicken. Das sagt viel mehr aus über die Lebensbedingungen im Lager als die sachliche Mitteilung: „Wir sind nicht alleine. In diesem kleinen Grenzort wohnen 8.000 Menschen, die mit uns kamen.“ Das Lager, in dem sich die Lebensbedingungen allmählich durch Eigeninitiative der Abgeschobenen, Hilfe polnischer jüdischer und auch ausländischer, insbesondere amerikanischer Organisationen allmählich besserten, wurde erst im Juli 1939 geschlossen.

Am 09.11.38 (!) hatte David Grünfeld bereits Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot eingelegt und die „Wiedereinreise ins Reichsgebiet“ beantragt. Noch schroffer als auf diesen Antrag reagierte die Stadt Verden auf die vom „Hilfskomitee f. Ausgewiesene“ schriftlich übermittelte Bitte vom 05.05.1939 um ein Führungszeugnis ohne einen Hinweis auf die „geringfügige Strafe“, da das für die Auswanderung in die USA „nicht dienlich“ sei. Darunter wurde am 22.05.1939 handschriftlich vermerkt: „Wir haben keine Veranlassung für einen polnischen Juden irgendetwas zu tun. Er muss selbst sehen wie er weiter kommt. Wir sind ihn los! Antwort wird nicht erteilt, weil nicht einmal Porto für Ausland beigefügt ist. Dennoch erhielt David Grünfeld von der Grenzdienststelle Neu Bentschen einen „Ausnahme-Einreisevermerk“ für fünf Wochen im Pass, um vorrübergehend nach Verden zurückzukehren und sich nach Hamburg „zu seinem Kinde zu begeben“. Seine fristgemäße Abreise zusammen mit seinem Sohn Ernst sollte polizeilich überwacht werden. David Grünfeld meldete sich in Verden am 31.05.1939 an und am 19.06.1939 „nach Bentschen, Polen“ wieder ab. Er wohnte in dieser Zeit bei Löwensteins.

Am 09.06.1939 bestätigte er den Empfang „sämtlicher vorhandener Einrichtungs-Gegenstände, lt. Verzeichnis, außer den am 09.11.39 veräußerten Gegenständen“. Irgendwelche Informationen über das Leben in Polen und das Sterben der Familie Grünfeld im Warschauer Ghetto sind in den hiesigen Archiven nicht vorhanden. Das Bundesarchiv in Koblenz hält die gesamte 1940 deportierte Familie „für in Warschau verschollen“. Die „Central Database of Shoah Victims’ Names“ nennt konkret Warschau als Todesort, desgleichen das Papenburger Gedenkbuch von Uwe Eissing.

Feuerwehrleute „sichern“ das Eigentum der Familie Grünfeld (10.11.1938)

Quellen:

  • »Stolpersteine« Biografien aus Verden Gedenksteine für die Opfer des Nationalsozialismus von Werner Schröter / Joachim Woock, Verein für Regionalgeschichte Verden e.V.
  • Stadtarchiv Verden: Rep. III, „Pascheberg-Akten“ Nr. 14 ff
  • Stadtarchiv Verden: Rep. II Schule H2, 1,3
  • Nds. Staatsarchiv Stade: Rep. 171a Verden, Nr. 591 (Synagogenbrandprozess Verden)
  • Stadtarchiv Fulda: Einwohnermeldebogen, Auszug aus Heiratsregister (zugesandt von Dr. Thomas Heller)
  • Historisches Museum Domherrenhaus Verden: Fotoarchiv 3867
  • (ehemaliges) Foto-Archiv Troue: zerstörte Synagoge
  • Bundesarchiv Koblenz (Hg.): Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945, 4 Bde, 2. wesentlich erweiterte Auflage, Koblenz 2006
  • Eissing, Uwe: Die jüdische Gemeinde Papenburg-Aschendorf im Spiegel der Zeit. Ein Gedenkbuch. Papenburg, 1987
  • Maurer, Trude: Abschiebung und Attentat. Die Ausweisung der polnischen Juden und der Vorwand für die »Kristallnacht«, in: Pehle, Walter H. (Hg.): Der Judenpogrom. Von der »Reichskristallnacht« zum Völkermord, Frankfurt/M. 1988 • Weidemann, Jürgen: Novemberpogrom 1938 «Kristallnacht» in Verden, Verden o.J. (1988)
  • www.yadvashem.org (The Central Database of Shoah Victims’ Names)
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